A. Riklin: Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung

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Titel
Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung.


Autor(en)
Riklin, Alois
Erschienen
Darmstadt 2006: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Anzahl Seiten
456 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marcel Senn

Riklin greift eine These von Dolf Sternberger aus dem Jahre 1984 auf, wonach die Mischverfassung – im Folgenden: MV – die Realität innerstaatlicher und gesellschaftlicher Machtverhältnisse weitaus angemessener wiedergebe als die dogmatische Fiktion der reinen Staatsform. Die MV sei eine Form der Machtteilung, die sich gesellschaftspolitisch strukturell auswirke und sich von der rechtsstaatlichen Gewaltentrennung abgrenze, welche die Staatsmacht funktionell verteile. Strukturelle wie funktionelle Machtteilungen seien idealtypische Konstruktionen, nicht schon staatspolitische Realitäten.

Diese kritische Sicht ermöglicht es dem Autor, die Geschichte der politischen Gestaltung der Staatsformen entsprechend neu, d.h. unter dem Aspekt der MV, zu lesen. Mischverfassungen hat es immer wieder gegeben. Der hauptsächlichste Unterschied der modernen zur antiken MV besteht in der Verstärkung von «urnendemokratischen » Elementen. Doch die meisten Demokratien der Gegenwart seien monokratisch ausgerichtet, wie die amerikanische, französische oder deutsche Präsidial- bzw. Kanzler-Demokratie verdeutlichten.

Riklin führt mit unambitioniert klarer und allgemein verständlicher Sprache sowie in gekonnt sicherem Duktus durch die Geschichte der MV, die mit der griechischen Antike beginnt und über die Rezeption im Mittelalter (Thomas von Aquin) in die Renaissance der Republiken von Venedig und Florenz führt. Ihr «Siegeszug» erfolgt mit den Theorien von Harrington, Montesquieu, Burlamaqui, Adams und Sieyès. Besonderes Interesse verdient seine Erörterung der MV des «Heiligen Römischen Reiches». Hier werden Theoretiker der MV erwähnt, die in den handelsüblichen Verfassungsgeschichten zu Deutschland bestenfalls marginal Beachtung finden. Die berühmte und provokative Bezeichnung Pufendorfs vom Reich als irregulärem Monstrum kontrastiert mit der Reichspublizistik, welche die funktionelle Gewaltenteilung und den gemischten Verfassungstyp erkannte. Als zentral für die unterschiedlichen Beurteilungen des Reichs erwies sich die Frage nach der Teilbarkeit der Souveränität: Während die Reichspublizistik die Souveränität als teilbar ansah, war sie für Bodin und Pufendorf gerade unteilbar. Darin erwiesen sie sich zusammen mit Hobbes und Rousseau sowie den amerikanischen Verfassungsrechtlern Paine und Madison als modern und sie prägten die Vorstellungen der Generationen des 19. und des 20. Jahrhunderts nachhaltig.

Mit der Realisierung der rechtsstaatlichen Demokratie im 19. und 20. Jahrhundert wurde nicht nur eine Zäsur zum absolutistischen Staatswesen der frühen Neuzeit gesetzt, sondern auch eine Abgrenzung zur Rezeption der MV vollzogen. Damit ging ein politikwissenschaftlicher Paradigmawechsel mit zwei Aspekten einher: Einerseits war die Mischverfassung bis ins 17. Jahrhundert ein Hauptkriterium für den guten Staat, ein Kriterium, das heute die rechtsstaatliche Demokratie erfülle. Andererseits war die MV pluralistisch legitimiert, eine Funktion, welche die Demokratie heute übernehme.

Dennoch bleibt, so ist Riklin überzeugt, die Idee der MV relevant. Denn deren Realität sei vielmehr ein Problem ihrer korrekten Wahrnehmung: Was sich heute unter dem Begriff der rechtsstaatlichen Demokratie präsentiere, sei in der Grundstruktur durchaus eine MV. Die ungemischte Demokratie gebe es nirgendwo und die Gewaltenteilung sei auch immer notwendig eine Form der Mischung der Machtteilung.

Das Werk des emeritierten Politikwissenschaftlers und ehemaligen Rektors der Universität St. Gallen Alois Riklin verdient grossen Respekt. Es ist das Ergebnis einer lebenslangen und intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Es rückt verzerrte Wahrnehmungen zu vielen politischen Phänomenen zurecht, indem es die bisher allzu geradlinige ideengeschichtliche Perspektive zur Macht- und Gewalttheorie durch den Facettenreichtum der historisch vielfältig ausdifferenzierten Idee der MV bereichert.

Zitierweise:
Marcel Senn: Rezension zu: Alois Riklin: Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung. Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 505-506.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 505-506.

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